Kretische Elegien

(nach einem Raki zuviel)

  1. Die gewaltigen Backen zweier Erdplatten drückten schraubstockgleich den Matsch der Tiefe zu einem Gebirge zusammen. Eine Kraft würdig des Aufenthaltsortes eines Gottes.
  1. Käme einer solchen Kraft die Idee – (klar doch, eine Kraft für sich hat keine Idee) – die hügelige Insel wieder auszubügeln, würde das Mittelmeer kleiner und eine Landbrücke zwischen Europa und Libyen wäre denkbar.

Wozu, fragt der Zeitgenosse, es löste doch keine Probleme. Es wäre teuer, aber immerhin eine schöne Geste für die Nahbarvölker.

  1. Vom Berg Ida stürmt der rasende Bock göttlicher Herkunft in die Täler. Eingehüllt in seinen Gestank, den er als Schild um sich führt. Die schönste der Ziegen will zu ihm. WEIBER: seid nicht so masochistisch!
  1. Einst eine Insel von Eichen bewachsen. Jetzt von verfressenen Schafen und Ziegen verwüstet – bis auf die unsterblichen Ölbäume.
  1. Heia, da laufen sie, die Ziegen und Schafe nicht wissend ihrer Macht Kontinente weg zu fressen.
  1. ICH ÖLBAUM REDE JETZT: Wir, vieltausend Mal länger auf dieser Erde als Schafe, Ziegen und Menschen. Auch uns kommt Würde zu! Man verstümmelt uns um unsere Früchte zu bekommen, so wie man die heiligen Stiere zu Ochsen entmannt. Nur wenige von uns haben noch ihre gottgewollte Größe. Unsere größte Freude wird das hoffentlich baldige Ende der Menschheit sein. Freut euch, Brüder und Schwestern, auf das kommende Paradies.
  2. Lobet den Ölbaum, der wenn auch verstümmelt, Früchte trägt. Sein vom Schmerz verkrümmter Stamm ist Spiegelbild unserer kaputten Seelen. Mein Gott, wie sind wir verkommen.
  1. Verflucht die Hoffnung, die uns hindert tätig zu sein (sagten die alten griechischen Philosophen).
  1. Wer von uns wollte schon zurück in die verschüttete Polis (die alte griechische Stadt), zerfressen von Zwietracht und Neid. Würde uns nicht auch ein Sokrates auf die Nerven gehen. Was wart ihr für ein Pack. Von wegen „stille Einfalt und edle Größe“.
  1. Du Apoll, schönster der Götter, aber auch welch ein mieses Schwein, dass der Niobe ihre Kinder neidete und dem Marsyas seinen Gesang. Warum musstet du diese töten?
  2. Wie, wenn das, was verschrumpelt neben dem Magen hindämmert, groß würde und mich überwältigte? Rasend spränge ich durch die buschigen Hügel Kretas, irr lachend und heulend vor verzücktem Schmerz. Um mich, das wohl wünschend, eine gleichfalls rasende Schar verzückter Mänaden. Nur wollen diese Verzückten ein junges Böckchen zerreißen. Scheiße, mangels selbigem nehmen sie auch den alten Bock aufs Korn. Dionysos ist da! Hallelujah, und ab geht’s in die Libysche See um jubelnd zu ersaufen. Die dort am Grund Liegenden könnte das nur wundern. Sag Du, Dionysos, zweitschönster Gott der Griechen, muss dies alles so sein?
  1. Dort unter dem azurblauen Wasser versammeln sich die Leichen, die lebend einst glaubten, anderswo wäre es besser.
  1. Warum muss da wo der Himmel noch blauer, die Wälder noch grüner, die Luft wärmer, die Erde fruchtbarer, das Elend so größer sein.
  1. Gedenke Du deines Hierseins mit Dank auch im verdämmernden Licht.
  1. Was für eine Spelunke. Nur der riesige Baum davor ist schön. Indes, gut ist das Essen, schön der Wirt. Griechische Musik, noch mehr Raki. Die Frauen werden jünger, immer jünger und schöner. Der Wirt, Dionysos jetzt, fordert die Frau, die ihm am knabenhaftesten wirkt zum Tanz auf. Und sie tanzen vollkommen schön. Gibt es vielleicht doch DEN Gott vor Ort? Dafür sollte Griechenland, oder meinetwegen nur Kreta, leben.

Ich in der libyschen See im Jahr 2×10 82

 

 

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